Nachgefragt: „Vor welchen Herausforderungen stellt uns die medizinische Anwendung von Elektrolyse-Sauerstoff?“

„Bei der Nutzung von Elektrolyseuren wird der Sauerstoff fast immer ungenutzt an die Umwelt abgegeben“ 

Herr Hirsch im Interview über Herausforderungen bei der Erzeugung und dem Einsatz von Wasserstoff in der medizinischen Anwendung

Bild Robert Hirsch

Robert Hirsch, Projektleiter für das Projekt zur Bereitstellung von Elektrolyseprodukten in der medizinischen Anwendung

Herr Hirsch, Sie leiten das Projekt Bereitstellung von Elektrolyseprodukten in der medizinischen Anwendung sowie deren weitere Verwendungsmöglichkeiten, welches sich mit der Zertifizierung von Elektrolyse-Sauerstoff beschäftigt. Was versteht man unter Elektrolyse-Sauerstoff?

Hirsch: Unter Elektrolyse-Sauerstoff versteht man einfach gesagt das Sauerstoffgas, welches mittels Elektrolyseverfahren hergestellt wird. Dabei wird nicht zwischen den verschiedenen Elektrolyseverfahren unterschieden, wichtig ist aber, dass die Verfahren Auswirkungen auf die entstehende Qualität haben. Je nach Elektrolyseur gilt es demnach, den Sauerstoff etwas anders zu behandeln bzw. aufzubereiten.

Das Elektrolyseverfahren dient in erster Linie zur Herstellung von Wasserstoff. Weshalb widmet sich Ihr Projekt dem Elektrolyse-Sauerstoff?

Hirsch: Interessant ist, dass bei der Nutzung von Elektrolyseuren der Sauerstoff fast immer ungenutzt an die Umwelt abgegeben wird. Unter der Beachtung, dass Wasserstoff aktuell 5 – 12 € / kg kosten kann und der dabei entstehende Sauerstoff ungenutzt freigesetzt wird, entspricht das einem ungenutzten Sauerstoffwert von rund 9 € / kg. Wenn der Sauerstoff noch weiter nachbehandelt wird, kann der Wert sogar schnell auf 18 € / kg angehoben werden.

Wie viel Sauerstoff entsteht bei der Produktion von einem Kilo Wasserstoff?

Hirsch: Bei der Herstellung von 1 Liter Wasserstoff entsteht ca. 0,5 Liter Sauerstoff. Jedoch sind die Massenverhältnisse nicht zu vernachlässigen. Unter der Herstellung von 1 kg Wasserstoff entstehen 8 kg Sauerstoff. Das bedeutet, dass ein volumetrisches Verhältnis von 2:1 und ein gravimetrisches Verhältnis von 1:8 vorliegt.

Wie muss der Sauerstoff aufbereitet werden, damit dieser für den Einsatz in der Medizin in Frage kommt?

Hirsch: Bei der Fragestellung müssen zwei unabhängige Seiten, die technische und die juristische, Beachtung finden. Technisch gesehen beginnt medizinischer Sauerstoff ab einer Konzentration von >90 Vol.-%. Die genaue Bezeichnung für dieses Medizinprodukt lautet „Sauerstoff 93“ und ist mit einer Qualität von 93 ± 3 Vol.-% gekennzeichnet. Weiter sind hier die übrigen Bestandteile mit zulässiger Höchstgrenze definiert. Davon ausgehend ist technisch gesehen Elektrolysesauerstoff ab der Herstellung in der Konzentration, angenommen ca. >95 Vol.-%, sehr geeignet. Eine Aufbereitung muss dahingehend erfolgen, dass die erwähnten zulässigen Spurenelemente unter den Grenzwerten liegen. Vereinfacht gesagt ist ein Filtersystem einzusetzen.

Welche Herausforderung gilt es, bei der Produktion von medizinischen Sauerstoff zu beachten?

Hirsch: Die Herausforderung liegt nicht im technischen Bereich. Viel mehr gilt es, die juristische Seite korrekt auszuführen. Die Gesetzeslage schreibt strenge Herstellungsverfahren, Prüfmittel, Kontrollen, Nachweispflichten, vorausgesetzte Befähigungen der herstellenden Person, Dokumentenpflege, Konzentrationen und Spurenelemente etc. vor. Davon ausgehend liegt ein großer Teil der Arbeitsleistung im Nachweis eines sicheren Verfahrens unter geforderten Bedingungen.

Können Sie die Bedingungen an einem Beispiel erläutern? 

Hirsch: Als Verdeutlichung der Vorgaben möchte ich den Leitungsausbau von „Sauerstoff 93“ mit „Sauerstoff für medizinische Zwecke“ in deutschen Krankenhäusern erwähnen. Beide Medizinprodukte sind für die medizinische Anwendung separat freigegeben. Obwohl „Sauerstoff für medizinische Zwecke“ mit einer Konzentration von >99,5 Vol.-% und ebenfalls bekannten Spurenelementen ein qualitativ höherwertiges Produkt darstellt, ist das Zumischen zu „Sauerstoff 93“ verboten. Die Produktqualität des „Sauerstoff 93“ könnte zwar angehoben werden, jedoch entsteht dabei in erster Linie ein nicht genau definiertes Medizinprodukt, das keine Zulassung zur Nutzung mit sich bringt. Das ist der Grund, weshalb zwei separate Verteilsysteme in einem Krankenhaus unabhängig voneinander zu installieren. Der von mir angezielte Elektrolysesauerstoff ist ebenfalls ein neues Produkt und muss entsprechend unabhängig behandelt und neu geprüft werden.

Inwiefern unterscheidet sich der medizinische Sauerstoff vom herkömmlichen Sauerstoff?

Hirsch: Der herkömmliche, auch technisch genannte, Sauerstoff unterscheidet sich dahingehend, dass andere Stoffkonzentrationen sowie Spurenelemente mit anderen Grenzwerten auftreten dürfen. In der Technik ist aufgrund der Anwendungen in der Regel von einem qualitativ höherwertigen Produkt auszugehen. Zahlenmäßig liegen wir bei Reinheiten von bis zu 99,999 Vol.-% Sauerstoff. Im Blick auf die Kosten liegt der medizinische Sauerstoff, unter der Voraussetzung der gleichen Qualitäten, leicht über dem des Technischen. Gründe dafür können die notwendigen Herstellungs- und Verfahrensbedingungen sein.

Welche Stoffe untersuchen Sie bei der Messung der Reinheit?

Hirsch: Bezüglich des angewendeten Verfahrens der Proton-Exchange-Membran-Elektrolyse liegt der Fokus auf den Stoffen Sauerstoff, Wasserstoff und Feuchte, also Wasserdampf. Die beiden ersten genannten Stoffe sind sowohl in den absoluten Konzentrationen im Bereich von 95 – 100 Vol. -% als auch als Spurenelement im ppm-Bereich (parts per million) zu untersuchen. Der Feuchtegehalt ist nur im ppm-Bereich zu detektieren. Damit gilt es herauszufinden, wie hoch der absolute Spurenanteil im hergestellten Sauerstoff ist.

Elektrolyse wird normalerweise zur Erzeugung von Wasserstoff durchgeführt. Wie setzen Sie den Wasserstoff ein, der im Projekt bei der Sauerstofferzeugung entsteht?

Hirsch: Der entstehende Wasserstoff liegt bereits mit einem Ausgangsdruck von bis zu 15 bar vor. Dieser ist in einen Zwischenspeicher, hier ein leeres Gasflaschenbündel, zu leiten. Da der Wasserstoff in diesem Projekt nicht an erster Stelle steht, ist daran keine direkte Verwendung angeschlossen. Für eine hoffentlich später folgende Implementierung in ein Krankenhaus, in Form eines Reallabors, ist dann der Wasserstoff zum Beispiel als Antriebsmittel für Einsatzfahrzeuge oder Energiespeicher und eine damit zur Verfügung gestellte Notstromversorgung gedacht.

Also könnten zukünftig Krankenhäuser mittels eines Elektrolyseurs nicht nur hochreinen Sauerstoff produzieren, sondern auch andere Bereiche im Betriebsablauf versorgen?

Hirsch: Das ist ganz richtig. Durch den Einsatz des Elektrolyseverfahrens kann sowohl Sauerstoff als Medizinprodukt als auch Wasserstoff als Energiequelle hergestellt und genutzt werden. Durch diese Sektorkopplung kann weiter noch ein wirtschaftlicher Synergieeffekt entstehen, der zukünftig kostenseitig vergleichbar mit dem direkten Einkauf von Sauerstoff und der Verwendung von konventionellen Verbrennern als Einsatzfahrzeug ist. Dies kann einen großen Teil zur Realisierung der Energiewende beitragen.

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